Renovierung eines Einödhofs am Steilufer der Isar

Oder: was MumDocs so in ihrer Freizeit machen…

 

Hallo, ich bin 34 Jahre alt und lebe mit meiner bald zwei einhalb Jahre alten Tochter und meinem Freund südlich von München auf einem alten Einödhof, den wir seit 2018 renovieren.

 

 

Ich persönlich finde ja die Renovierung selbst nicht so spannend, wie die Geschichte und Lage des Hofs, weshalb ich mir nicht verkneifen kann hier kurz auszuholen.

 

Der Hof befindet sich seit 1938 in Familienbesitz. Damals lebte die Familie meiner Großmutter väterlicherseits im Süden Münchens nahe der heutigen Stadt Geretsried, im Gehöft „Einöd links der Isar“. Geretsried selbst bestand bis 1937 noch aus einzelnen Bauernhöfen. 1937 begann man jedoch, in Vorbereitung auf den Krieg, mit dem Bau von Sprengstoff-Fabriken unter den hohen Bäumen des Forstes, der sich entlang der Isar erstreckte. 1938 wurden Familien, die „zu nahe“ an diesen Fabriken wohnten umgesiedelt. Meine Familie entschied sich, in das allernächste Nachbarhaus zu ziehen, den nur einige Kilometer entfernten „Schußhof“, der zufällig zu Verkauf stand. Damals war meine Oma sieben Jahre alt.

 

„Der heutige sogenannte Schußhof wurde 1860 gebaut.“

 

Es gab dort bereits alte Gebäudeteile, die wohl aus Holz waren und abgebrannt waren. Der „Neubau“ wurde aus hauseigenen Volltonziegeln gemacht, der Hof war damals nämlich eine Ziegelei.

 

Meine Oma und ihre zwei Schwestern lebten dort wohl einigermaßen glücklich. Während des Kriegs scheint nicht viel passiert zu sein, es ist auch abgeschieden genug. Sie hatten allerlei Amusement, spielten Musikinstrumente, besaßen einen kleinen Esel und einen Wagen, mit dem sie umherfuhren und andere Tiere. Der Vater war sehr ideenreich. Er hatte mal eine Wurstbude auf Jahrmärkten, druckte Propagandamaterial (Postkarten) für die Nazis, dealte mit Altmetall und vieles mehr. Als gegen Ende des Kriegs der in Dachau gestartete Todesmarsch vorbeikam und ein paar Juden zu ihm flüchteten,nahm er sie auf (am Hof lebten wohl zudem schon um die 20 geflüchtete Ungarn und das Essen war knapp) und ließ sich von ihnen schriftlich seine Hilfsbereitschaft attestieren, ein Dokument, welches sorgsam aufbewahrt wurde und ihn vor den Amerikanern schützte. Danach eröffnete er ein Zweiradgeschäft in der Implerstraße in München. Ein junger Kerl heuerte als „Schaufahrer“ an, um die Motorräder auf Überlandfahrten und bei Festen zu präsentieren. Meine Oma, selbst gerne mit einem Motorrad unterwegs, fuhr in der Truppe, die entstand mit, auch kleine Rennen, bei einem Unfall verlor sie ihre Milz. Dann wurde sie von diesem jungen Kerl schwanger, meinem Großvater. Wohl nicht ganz begeistert musste sie ihn heiraten, ich glaube sie trägt ihm die Hochzeit und das Kind bis heute nach, aber das ist ein anderes Thema. Mein Vater blieb jedenfalls der einzige Nachfahre von allen drei Schwestern, weshalb der Hof irgendwann an ihn überging. 

 

Seit 1860 war wenig verändert worden. In den 1970er Jahren wurden nach einem Einbruch mal alle Innentüren ausgetauscht, da die Alten eingetreten worden waren (meine Großtante, die damals dort lebte war immer wieder tageweise weg und verschloss jede Tür einzeln), Anfang der Zweitausender Jahre wurden die Fenster und das Dach erneuert.

 

„Sonst war noch vieles wie vor 150 Jahren, als mein Freund und ich 2018 entschieden dort ein zu ziehen.“

 

Es gibt eine eigene Quelle, geheizt wird mit Holz aus dem eigenen Wald, Abwasser geht in die eigene Kläranlage. Der Hof war vermietet, der Mietvertrag war befristet und lief 2018 aus. Wir hatten uns schon im Vorfeld lang Gedanken gemacht, ob wir uns zutrauen würden von München in die Einsamkeit zu ziehen. In der Zeit vor der Entscheidung war bei uns privat einiges passiert, positiv wie negativ. Bastis Eltern waren beide mit Anfang 60 jeweils mehr oder weniger plötzlich verstorben, er selbst hatte endlich seine Doktorarbeit beendet und war, wie bei Biologen zu erwarten, eine Weile arbeitslos gewesen, hatte aber gerade einen Job gefunden, der ihm erlaubte teilweise home office zu arbeiten, allerding mit 25% Reisetätigkeit. Ich hatte meinen Facharzt erledigt. Und: wir hatten eine kleine Tochter bekommen! Ich selbst komme vom Land und von diesem Zeitpunkt an, hat es mich geradezu hinausgezogen aus unserer gerade mal gute 50 qm großen Wohnung, in der sich unsere 10000 Sportartikel stapelten und 50000 Bücher und noch viel mehr Fotografenzubehör (ja, wir sind keine Minimalisten 😊). Kurz, irgendwie hatten wir eine Zeit der Umbrüche hinter uns und waren, glaube ich, irgendwie verwirrt genug, uns naiv ins nächste Abenteuer zu stürzen.

 

Bis zum Dezember 2018 „koordinierten“ wir den Umbau noch aus München, fuhren jede freie Minute hinaus und legten auch viel selbst Hand an. Doch alles ging nur im Schneckentempo vorwärts. Als wir zum 31.12. aus der Münchner Wohnung raus mussten, hatten wir nur ein Waschbecken und ein Klo im Erdgeschoß, noch keine Küche, keine Haustüre (eine windige Bautüre, durch die die Kälte pfiff) und nur zwei „fertige“ Räume, was heißen soll, dass ein Boden drin war und die Fenster dicht. Unser Versuch einzuziehen scheiterte an zwei Dingen. Zum einen an einer langwierigen Pneumonie unserer da nicht ganz eineinhalbjährigen Tochter, die sich in der baustaubgeschwängerten Luft im provisorischen Schlafzimmer die Lunge aus dem Leib hustete. Vermutlich auch deshalb, weil dort der Kachelofen stand und wir einschüren mussten wie die Wahnsinnigen, um den Rest der undichten Baustelle so warm zu bekommen, dass man weiterarbeiten konnte und der Putz trocken wurde. Wir haben nie gemessen, aber wahrscheinlich hatte es im Kinderbett 32 Grad.

Außerdem, vielleicht erinnert sich der ein oder andere, brach zur Jahreswende der Winter über Oberbayern herein. Wir konnten den Hof nicht mehr erreichen.

Vieles hatten wir schon hingebracht, aber gerade die Möbel konnten nicht mehr hochgefahren werden. Zwei Kilometer ungeräumter Feldweg waren so zugeschneit, dass wir noch drei Tage versuchten mit Schneeschuhen hin und her zu gehen, dann zogen wir zu meinen Eltern. Auch die Handwerker kamen nicht mehr hoch. Stillstand auf der Baustelle. Den nächsten Einzugsversuch starteten wir dann, als wir im ersten Stock endlich Wasser hatten und das Bad einbauen konnte. Das war im März. Seither leben wir dort und es geht jeden Tag ein wenig vorwärts.

 

„Meine größten Sorgen haben sich seither wenigstens zum Teil in Luft aufgelöst“

 

Uns wurde von einigen Seiten Angst gemacht, mit Kleinkind auf einer Baustelle zu leben. Ich bin hierzu inzwischen der Meinung, dass ein Kind sich an seine Umgebung anpasst. Die Zimmerer schmissen jeden Tag eimerweise verbogene Schrauben und Nägel vom Gerüst, abgeschnittene scharfkantige Blechteile flogen herum, Baustahl wurde in die Wiese geworfen, überall waren spitze Werkzeuge, Kabel, Starkstromdosen, offene Elektroinstallationen und natürlich konnte ich nicht permanent wie ein Wachhund hinter ihr herlaufen. Hannah war einfach von Anfang an, als hätte sie verstanden, dass hier Grenzen nicht ausgetestet werden dürfen, sehr folgsam und brav. Gleichzeitig war sie an allem sehr interessiert. Wenn sie was ausprobieren wollte, haben wir ihr das soweit es ging ermöglicht. Sie durfte mit Ohrenschützern mithelfen Fliesen zu klopfen, bei allem was mit Schrauben und Bohren zu tun hatte, war sie mit „ihrem Schrauber“ mit am Start. Sie wurde super schnell geschickt im Klettern und Laufen und hat bis heut nie an einer Steckdose oder einer der immer noch offen rumhängenden Elektroinstallationen rumgespielt. Wirklich ins Schwitzen hat mich eigentlich nur die Zeit gebracht, als wir über eine wackelige Holzleiter im offenen Treppenhaus zum Bad hochsteigen mussten, weil der Schreiner einfach die Treppe nicht fertiggebracht hat und wenn ich duschen wollte halt auch das Kind nicht unten allein lassen wollte. Diese einarmigen Balanceakte unter ständigem Kind-Beschwören („Hannah, halt dich supergut an meinem Hals fest und beweg dich bitte gar nicht, ich muss mich jetzt ganz gut konzentrieren können, sonst haben wir beide ein riesiges Aua und niemand ist da, der uns hilft“) möchte ich doch lieber nicht mehr erleben.

 

 

Die zweite Sorge war die Einsamkeit, auch die war noch kein Problem. Wir hatten im Sommer so viele Gäste, auch welche, die Tage und Wochen blieben, wie noch nie (wie auch, wir hatten ja nicht wirklich Platz 😉). Auch spontane Besuche, die sich 15 min vorher per WhatsApp ankündigten (hey, wir waren in den Bergen und sind auf dem Rückweg nach München an der Ausfahrt Wolfratshausen vorbei gekommen und da dachten wir…) und noch spontanere Besuche, die nur den Kopf reinstreckten (ich stehe erkältet im Schlafanzug vor dem Kühlschrank und suche das Katzenfutter und ein ehemaliger Oberarzt steht in der Tür, der gerade hier radelt und gehört hat…) sind an der Tagesordnung. Vielleicht muss ich kurz erwähnen, dass wir lange kein Schloss hatten (inzwischen ja) und immer noch keine Klingel… Zudem gehen sowohl die Via Bavarica Tyrolensis, der Isarradweg und der sogenannte „Traumpfad“ direkt am Haus vorbei, so wird der Fernwanderweg München-Venedig genannt, weshalb schon mal fünf Walzende Gesellen bei uns genächtigt haben,allerlei lustige Leute ihre Trinkflaschen befüllen wollen und es am Wochenende auf dem Weg zugeht wie am Stachus.

 

„Die finanzielle Seite hat mir im Frühjahr viele schlaflose Nächte bereitet, und natürlich hat sich das Thema Geld NICHT in Luft aufgelöst.“

 

Anfangs war nicht wirklich absehbar was für Summen auf uns zukommen. Wir hatten keine gute Beratung was die Förderung für energetisches Sanieren angeht und haben uns da doch etwas übernommen. Ich bin von uns beiden diejenige, die den Kredit aufnehmen musste, weil ich wenigstens ein wenig Eigenkapital hatte. Mich hat, nachdem alles angelaufen war, regelmäßig eine Panik gepackt. Was tun, wenn Basti was passiert und er nicht mehr arbeiten kann? Wenn mir etwas passiert? Wenn die Baukosten so explodieren, dass wir bis ans Lebensende hoch verschuldet sind? Wenn wir die Förderung nicht bekommen? Geklärt hat sich das alles noch nicht und ich sitze täglich am Schreibtisch und bearbeite die sich ständig auftuenden Hürden. Hier kam aber auch einfach mit der Zeit Ruhe rein. Ich arbeite wieder, Basti auch, der Kredit wird abgezahlt, die größten Posten sind erledigt…

 

 

Zusammengefasst bereuen wir unsere Entscheidung definitiv überhaupt nicht. Wir genießen jeden einzelnen Tag, fühlen uns allen Dingen, die noch auf der ToDo Liste stehen, meist halbwegs gewachsen (oder überblicken sie noch nicht) und freuen uns aufs nächste Jahr, dann möchte ich den Garten angehen, der im Moment noch eine Kieswüste mit Bauschutt ist. Und: Problematisch war sicher auch zu keinem Zeitpunkt die Tatsache, dass wir gerade Eltern geworden waren, das sei hier nochmal betont. Natürlich wären wir ohne Hannah vermutlich deutlich schneller gewesen, man muss zum Verfugen nicht immer auf den Abend warten oder schnellschnell, wenn das Kind Mittagsschlaf macht, ein paar Dielen abschleifen. Oder man könnte ohne Kind unbedenklicher einfach mal laut sein, Wände bohren ect. Aber das muss auch nicht sein, so what, dauert halt bisschen länger….

 

 

Seit dem Interview ist einige Zeit vergangen inzwischen ist Veronica nicht nur erneut Mama geworden sondern auch Oberärztin – und der Hof hat sich immer mehr in ein echtes Schmuckstück verwandelt. Wer noch mehr Bilder sehen möchte, kann das gerne bei Instagram unter our_little_farm_in_the_woods

 

 

 

Katrin
Katrin MumDocs Gründerin
Veronica
VeronicaHeimwerkerin & MumDoc