Frauen in der Medizin – über Hierarchien, Nachteile für Mütter und Männerseilschaften

Frauen in der Medizin haben auch 2021 noch immer nicht die gleichen Chancen wieihre männliche Kollegen. Ihr lest hier den Bericht einer MumDoc, die Männerseilschaften in Kliniken satt hat und nach langjährigem Kampf gegen besagte Strukturen überlegt der Medizin ganz den Rücken zu kehren.

Wir müssen reden

Ich bin Mitte 30, habilitiert, habe mehr als 70 Pubmed-gelistete Publikationen und bin Oberärztin an einer Uni – ich habe aber ein Problem: ich bin eine Frau. Und jetzt habe ich auch noch Kinder. Wir müssen reden – denn was Frauen, Medizin und Spitzenpositionen sowie Wissenschaft angeht gibt es hier in Deutschland ein gewaltiges Problem.

Ich wollte immer an die Spitze, ich bin motiviert, doch schon während des Studiums habe ich gemerkt, dass man als Frau nicht gleich behandelt wird. Nach erfolgreicher Bewerbung und Annahme in einem Betreuungsprogramm für experimentelle Doktorarbeiten (ganz abgesehen davon, dass ich während der Bewerbung gemerkt habe, dass etwa 80% der Doktorarbeiten „vorher“ schon abgesprochen waren) musste ich das Programm verlassen. Die Projektleitende hatte mit mir zwar abgesprochen, dass ich die ersten Semesterferien für die Sklaven-Laborarbeit wegen zwei Famulaturen NICHT zu Verfügung stehen würde, aber als es dann so weit war, war das nicht recht. „Mir wurde nochmal eine Chance eingeräumt.“ Auf so eine Zusammenarbeit wollte ich mich jedoch nicht einlassen, also wollte ich das Projekt noch wechseln und während der Findungsphase der ersten Wochen ist das offiziell auch möglich. Beim Projektwechsel wurde ich jedoch informiert, dass betreffende Projektleiterin mich schon vor Wochen (schon Wochen vor dem „klärenden“ Gespräch) abgemeldet hatte offiziell vom Programm.

So funktioniert das also – man macht sich gegenseitig das Leben schwer. Also machte ich mich auf die Suche nach einer anderen Doktorarbeit – interessanterweise erfolgte die Vergabe häufiger nach dem „ich habe eine Münze geworfen“ Prinzip (so ernsthaft mir von einem Betreuer gesagt). Also entschloss ich mich gegen Labortätigkeit und für das statistische: ich erarbeitete eine riesige Datenbank mit knapp 1000 Patienten, recherchierte alle klinischen Daten, wertete Laborergebnisse aus, kontaktierte Patienten. Mit meiner Datenbank hat ein anderer – männlicher Doktorrand – seine Doktorarbeit geschrieben: er bekam ein Magna cum laude, ich nur cum laude. Nicht zu vergessen, dass ich natürlich auch nicht auf den Postern und Publikationen stand. Dennoch war ich überzeugt: mein Platz ist an der Uni, zwischen all den „klugen“ Köpfen und an der Quelle. Ich bewarb mich an einer großen norddeutschen Universität in meinem Wunschfach, ich stellte mich vor, eine Arbeitsgruppe hatte „Drittmittel“ für mich und der Vertrag sollte alsbald kommen. Kam er aber nicht, ich frage nach, ich rief an: plötzlich keine Gelder mehr da?

Über Bekanntschaften erfuhr ich dann die Wahrheit. Man kann es sich fast auf der Zunge zergehen lassen: im Rotarier Club fragte ein Bekannter den Klinikchef nach meiner Bewerbung, und ja, man erinnerte sich an mich, aber nein, noch eine Frau, die dann schwanger werde, darauf hatte man keinen Bock. Fast hätte ich aufgegeben, letztlich landete ich aber doch an einer Universität. Doch auch dort musste ich erkennen, dass Leistung, Motivation, Wissen, (publikatorischer) Erfolg nicht zählt: was zählt sind Bekanntschaften, Seilschaften und … das Geschlecht. Und trotz dieser Widrigkeiten habe ich mich durchgekämpft, aber meine Forschung habe ich in meinem Zweitjob gemacht, nebenher. Soll es wirklich so sein? Ich bin nun habilitiert, ich bin Fachärztin, aber die nächsten Schritte waren nur mit Mühe möglich. Jeder Mann, und sei er auch meilenweit von meiner
Qualifikation entfernt, hat es leichter und wird bevorzugt. Und alle wissen es, aber keiner kann was dagegen tun.

Mir reicht es langsam. Altherrenclub und zwar altersunabhängig, Männer, die sich gegenseitig hochloben, durchsetzungsstarke Frauen, die als zickig verschrien werden. Zum nächsten Karriereschritt wechselte ich die Universität – an meiner Alma mater ist der „Altherrenclub“ sehr
rigide und gefestigt. Doch selbst da ich jetzt die Position habe, die ich immer angestrebt habe, ich bin immer noch nicht gleich. Ganz abgesehen von den üblichen Querelen in der Wissenschaft, werden wir Frauen noch schlechter behandelt, uns werden Positionen und Qualifikationen abgesprochen, Zeugnisse für Zusatzbezeichnungen aus abenteuerlichen Gründen nicht unterschrieben oder zeitlich verzögert (damit der männliche Kollege als „erster“ die betreffende Zusatzbezeichnung hat). Mir reicht es. Alle wissen es, alle sprechen darüber, nichts ändert sich.

Mittlerweile hat man es geschafft: ich denke darüber nach, der Universität den Rücken zu kehren, ja vielleicht sogar der Medizin. Der hierarchisch aufgebaute (hier erinnert es mich immer an das preußische Militär) Altherrenclub hat mich ausgelaugt.

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