Hallo Amelie, stell dich doch kurz vor und erzähl etwas über dich.
Ich heiße Amelie und arbeite als Ärztin in Weiterbildung in einer dermatologischen Praxis im Ruhrgebiet. Als gebürtige Münchnerin hat es mich über Heidelberg/Mannheim (Studium), nach Köln (WB Allgemeinchirurgie und WB Derma Praxis) sowie Hamburg (Derma Universitätsklinikum) der Liebe wegen nach NRW verschlagen. Im Moment bin ich sowohl am Ende meiner Elternzeit mit meinem 2. Kind, als auch meiner Weiterbildungszeit Dermatologie.
Das Thema Sonnenschutz ist ja zu Anfang jeder Sommersaison immer omnipräsent- hast du das Gefühl da gibts noch Aufklärungsbedarf oder machen Werbung, Influencer und Co. diesbezüglich nen guten Job?
Im Bereich der Präventionsarbeit hat sich glücklicherweise immens viel getan. Das Thema ist etwas mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt. Die Schattenseite ist leider, dass der Markt unübersichtlich geworden ist – ebenso wie die Empfehlungen.
Es ist ein bisschen wie mit Ernährung und vielen anderen Themen unserer Zeit. Man kann/muss/möchte allem gerecht werden. Keine Chemie, aber guter Schutz. Keine Nanopartikel, aber bitte keine Creme die weiß macht. Kein Plastik, lieber Papierverpackung…. Aber da gibt’s dann keine passende Sonnencreme ohne die Nanos oder ohne chemische Filter oder oder oder. Man kann vermutlich (noch) nicht alles richtig machen. Aber man kann Prioritäten setzen. Am Ende zählt, dass man sich und seine Liebsten schützt.
Gibt es Mythen rund um Sonnencreme, mit denen du gern aufräumen würdest?
Da gibt es tatsächlich Einige:
„Sonnenschirme schützen ausreichend.“
Es kommt zwar (bei einem guten Schirm) nur wenig UV-Strahlung durch, aber 60% der Strahlung entsteht durch Streuung und gelangt dennoch auf den, der unter dem Schirm sitzt. (Hier nachzulesen: Ultraviolet Radiation Protection by a Beach Umbrella Maria P. Utrillas1, José A. Martinez-Lozano and Manuel Nunez Solar Radiation Group, Departamento de Fisica, Photochemistry and Photobiology, 2010, 86: 449–456)
„einmal eincremen am Tag reicht.“
Den wenigsten ist bewusst, was LSF 5, 10, 50, oder 100 bedeutet. Wenn man sich das einmal klar macht, weiß man um sein „Sonnenkonto“ für einen Tag Bescheid und kann seine Haut gut schützen. Je nach Hauttyp ändert sich der Eigenschutz, den die Haut der Sonne entgegensetzen kann. Die Sonnencremes verlängern diesen um das 5-, 10-, 50- oder 100-fache. In unseren Breitengraden (bei einem Hauttyp I -II nach Fitzpatrick) liegt der durchschnittliche Eigenschutz bei +- 10 -20 Minuten. Bei Kindern unter 12 Jahren sogar nur bei 0-5 Minuten. Gute Informationen hierfür bietet das Bundesamt für Strahlenschutz auf seiner Seite.
„ich hab uns zwei Flaschen Sonnenschutzcreme eingepackt!“ Julia, 4-köpfige Familienmami 1 Tag vor Abflug in den zweiwöchigen Sommerurlaub.
Heute weiß man, dass man für den auf der Verpackung angegeben Schutz 2mg je Quadratzentimeter Haut auftragen muss. Das bedeutet bei einem durchschnittlichen Erwachsenen ca. 34 Gramm. Eine 200gr Packung reicht also genau genommen nicht mal für 6 mal eincremen. Bei einem Strandurlaub mit 2 Schwimmeinheiten also keine 2 Tage. Unterschreitet man die Menge an Creme verringert sich der Schutz schnell von einem LSF 50 auf einen LSF 5.
„Nanopartikel bei Kindern sind böse“
Hierfür gibt es bisher keine belegende Studie. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, schadet seinem Kind jedoch nicht, wenn man Produkte ohne Nanofilter verwendet.
Würdest du sagen lieber mit „irgendwas“ einschmieren als ungeschützt in die Sonne gehen oder gibts definitiv Cremes von denen man abraten muss?
Unter einem Jahr sollte man gänzlich auf Sonnencremes verzichten und lieber die Sonne meiden und im Schatten (am besten ist Häuserschatten) auf weitere Schutzmaßnahmen (Kleidung, Strandmuschel, Sonnenbrille) achten.Bei Kindern ab 1 Jahr sollte auf bestimmte chemische Filter und weitestgehend verzichtet werden. Gleiches gilt für Panthenol und Aloe Vera. Diese reduzieren Rötungen und verschleiern mögliche Sonnenbrände ebenso wie rein mineralische, weißmachende Filter bei unter 1 Jährigen.Verzichten sollte man natürlich auch auf Parfüm und hormonaktive chemische Filter.Bei Kindern sind doch wir die Verantwortlichen. Sie können nicht selbst entscheiden. „Irgendwas“ würde ich aber auch bei mir nicht wählen.Als unbedenklich gelten im Übrigen aktuell:
- Bis-Ethylhexyloxyphenol Methoxyphenyl Triazine (Tinosorb S)
- Drometrizole Trisiloxane (Meroxyl XL)
- Terephthalylidene Dicamphor Sulfonic Acid (Mexoryl SX)
- Ethylhexyl Triazone (Uvinul T 150)
- Diethylamino Hydroxybenzoyl Hexyl Benzoate (Uvinul A Plus)
- Diethylhexyl Butamido Triazone (Iscotrizinol)
- Phenylbenzimidazole Sulfonic Acid (Enzulisol)
- Butyl Methoxydibenzoylmethane (Avobenzone)
Ökotest, Warentest und daneben zahlreiche Blogger und Influencer bewerben, testen und empfehlen gefühlt hunderte Sonnenschutzprodukte – manche schneiden dann beispielsweise schlecht ab, nur weil die Verpackung irgendwelche Kriterien nicht erfüllt….wie erkennt man auf welchen Test man sich verlassen kann? Welches Kriterium ist dir am wichtigsten beim Kauf einer Sonnencreme?
Ich glaube für den Laien ist es schwer, sich in der Flut der Empfehlungen zurecht zu finden.
Wie bereits gesagt, muss man seine individuellen Bedürfnisse etwas priorisieren. Ökotest habe ich bisher immer als recht übersichtlich und strukturiert empfunden verschiedene Aspekte werden bedacht und die Recherche war bisher bei Sonnencremes recht fundiert. Influenzer würde ich nicht als unabhängige Quelle heranziehen. Hier ist es für den Endverbraucher schwer, mögliche Kooperationen oder monetäre Interessen zu erkennen.
Welchen Stellenwert hat bei Kindern UV Schutzkleidung?
Einen sehr hohen Stellenwert. Zu einem guten UV Schutz zählt immer gute Kleidung, eine Kopf- und bestenfalls Nackenbedeckung (beides bestenfalls gemäß australischer Norm AS/NZS 4399:2017 oder europäischem UV STANDARD 801) sowie eine Sonnenbrille (mit CE Kennzeichnung und UV400-Aufdruck). In Kombination mit Sonnencreme und Schatten lässt sich ein wirklich hoher Schutz von bis zu 98% erreichen.
Ansonsten gilt für Kleidung: lieber dunkel als hell, lieber Baumwolle als Kunstfaser und besser trocken als nass.
Was sind deine ganz persönlichen Lieblingsprodukte für Erwachsene, für Kinder, für empfindliche Haut oder Allergiker?
Die Produkte, die genutzt und richtig angewandt werden – denn das ist das wichtigste.
Ich empfehle (neben den genannten Kriterien) keine dünnflüssigen Produkte oder Sprays. Die sind super praktisch- ich weiß. Aber man muss 2-3x nachsprühen um annähernd den richtigen Schutz bzw. die richtige Menge zu erhalten. Die Sprays sind wirklich trügerisch. So lästig es ist: lieber zäh eincremen.
Erzähl uns doch mal was über das Sonnenschutzprojekt und die Zertifizierung von Kindergärten an der du mitwirkst!
Du sprichst das Projekt Sunpass an, eine echte Herzensangelegenheit mittlerweile.
Ursprünglich von der Europäischen Hautkrebsstiftung (ESCF) ins Leben gerufen werden heute bundesweit von den Landeskrebsgesellschaften Kindergärten zertifiziert. Das Projekt basiert auf einer Sonnenschutz-Vereinbarung, die zwischen dem Kindergarten und der Krebsgesellschaft geschlossen wird. Kindergarten und Eltern werden im Beisein eines Dermatologen geschult. Mit den Kindern finden spielerische Aktionen zum Thema Sonne und Sonnenschutz statt und die Einrichtungen verpflichten sich, gewisse Kriterien zu erfüllen (UV-Index in der Kita, eincremen, Schutzbekleidung und Sonnenschutzsegel bzw. Meiden der Mittagssonne etc.).
Die Präventionsarbeit macht unheimlich viel Spaß. Es gibt viele Ahhs! und Ohhs! bei den Veranstaltungen. Am schönsten ist aber zu sehen, wie selbstverständlich für die Kleinsten der Sonnenschutz am Ende des Projektes ist.Nach 3 Jahren im Team Hamburg starte ich nun in NRW wieder mit der Zertifizierung der Kita meiner eigenen Kinder -das ist noch mal etwas ganz Besonderes. SunPass freut sich übrigens im ganzen Bundesgebiet über Dermatologen/innen, die Freude an Präventionsarbeit haben und sich bei ihrer Landeskrebsgesellschaft melden. Bei Fragen zum Projekt stehe ich gerne zur Verfügung.